Zuhause & Globales Bewusstsein

Seit zwei Wochen bin ich nun zurück in Deutschland und mein letztes Wunder habe ich auf der Rückreise erlebt. Nämlich als ich erfahren habe, dass ich mein Spendenziel für World Bicycle Relief genau am letzten Tag meiner Reise erreicht habe - 14 Fahrräder! 1.876 EUR! Ich danke jedem einzelnen von ganzem Herzen! Stellvertretend möchte ich die Worte, die mich mit der letzten Spende erreicht haben, hier teilen, weil ich es nicht besser formulieren könnte: 

 

“Unsere Jungs haben am gleichen Tag Geburtstag wie du. Dieses Jahr gabs als Geschenk neue MTBs, jetzt gibts noch zwei Räder für Afrika dazu. Ziel erreicht!!! :-) Auf deiner Homepage ist zu lesen, dass du dich als privilegiert fühlst, wenn du in der Garage deine Bikes betrachtest. So geht es mir auch. Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass du Tolles geleistet hast, und dem glücklichen Zufall, dass ich erstmals auf deiner Homepage unterwegs war just in dem Moment, als genau noch 2 Buffalo Bikes fehlten. Ich habe kurz gelächelt und mich über beide Zielerreichungen gefreut.”

 

Ich freue mich so sehr & wisst ihr, was das Gute ist, ihr könnt trotzdem noch bis Montag, 30.09. spenden! ;-)

 

Während der letzten Tage meiner Reise habe ich etwas gefühlt, aber ich konnte nicht so richtig sagen, was es ist. Ich habe vielleicht ein “Zuhause vermisst, ohne zu wissen wo das für mich genau ist”. Ist das dort, wo ich aufgewachsen bin, ist es Mannheim, ist es Frankfurt, ist es dort, wo meine Mutter, mein Vater oder meine Schwestern leben, oder ist es eine Stadt, in der ich zukünftig leben werde, aber von der ich noch gar nichts weiß? Oder ist es einfach Deutschland? Europa? Ist mein Zuhause mein Fahrrad? Oder müsste ich selbst mein Zuhause sein, egal wo ich bin? Ist mein Zuhause dort, wo die Kisten mit meinem Hab und Gut stehen? Ich konnte die Frage für mich nicht beantworten und es war noch komplizierter (und ziemlich abentuerlich :D) anderen zu erklären, was “nach Hause kommen” für mich bedeutet.

 

Ich hatte auch nicht wirklich damit gerechnet, eine Antwort zu finden. Aber ich habe sie bekommen! Und zwar mit dem ersten Tag, als ich zurück war und noch mehr mit jedem weiteren, den ich erleben durfte, seit ich wieder “hier” bin: “Zuhause ist da, wo [m]eine Freunde [und vor allem meine Familie] sind. Hier ist die Liebe umsonst!” Zuhause ist kein Ort für mich, es ist ein Gefühl! Danke an alle, die mir dieses Gefühl geben - egal wo! Wenn wir zusammen sind, “bringen wir die Welt zum Leuchten” - egal wo! Danke!

 

Ich bin unglaublich dankbar, wie viele Menschen, die ich meine Familie und Freunde nennen darf, ich seit ich zurück bin, getroffen habe. Diese Zeit hat mir gezeigt, welche tiefen Freundschaften und Beziehungen ich habe. Menschen, die mich bedingungslos lieben und die jede Reise mit mir gehen - egal wie “falsch” oder “richtig” sie erscheinen mag. Und dazu kommen nun auch noch die wertvollen Menschen, die mich auf meiner Reise auf meinem Weg zum Glück begleitet haben, die Freunde und Teil meines Lebens geworden sind.

 

Auf meiner Reise habe ich gelernt, dass ich alleine zurecht komme, ich habe darauf gehört, was ich möchte und meine Stärken kennengelernt. Aber wisst ihr, welcher Zustand noch schöner ist - und ich bin der festen Überzeugung, dass man diesen nur erreichen kann, wenn man den Schritt davor, das Unabhängig- und Alleinesein, gelernt hat? Es ist der Zustand in dem wir wissen, dass wir für uns selbst sorgen können, aber dennoch die Hilfe und Zuneigung unserer Freunde und Familie annehmen können. Wir brauchen niemanden, der uns sagt, dass wir ein toller Mensch sind, das wissen wir selbst. Aber wir entscheiden uns dennoch bewusst dafür, diese Beziehungen einzugehen und zuzulassen. Und warum? Ganz einfach, weil es unser Leben so unendlich bereichert! 

 

Zurückzusein zeigt mir aber auch, dass meine vier Monate auf Reisen wirklich “Außerhalb der Zeit” waren und ich in einem komplett anderen Seinszustand von Entschleunigung unterwegs war. Es zeigt mir, wie schnell man wieder in “alte Muster” zurückfallen, sich von der Alltagshektik mitreisen lassen kann und wie sehr wir in einer von Wachstum und Profit getriebenen Welt leben, in der soziale Aspekte und Menschlichkeit oft an zweiter (oder dritter, vierter, letzter) Stelle stehen, der wir uns kaum entziehen können. 

 

Das ist also der perfekte Zeitpunkt, einen Punkt auf meiner To-Do-Liste abzuhaken, der dort seit Budapest zu finden ist! In Bratislava und Budapest bin ich nämlich erstmals mit dem Thema “Degrowth” in Berührung gekommen und möchte die Idee dahinter und meine Erfahrungen damit gerne noch mit euch teilen.

 

Die Degrowth-Bewegung beruht auf dem Gedanken - oder soll ich Fakt sagen? -, dass wir auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben, aber wirtschaften, als hätten wir unendlich Ressourcen zur Verfügung. Die Degrowth-Bewegungen widmen sich demnach der Suche nach Alternativen zur konsumorientierten, kapitalistischen und auf Wirtschaftswachstum beruhenden Wirtschaftsweise - es handelt sich also um eine Wachstumskritik. Die meisten Stimmen sagen, dass eine grundlegende Abkehr vom Wachstum unumgänglich ist, wenn wir unsere ökologischen Ziele ernst nehmen und globale Klimagerechtigkeit erreichen wollen. Auch wenn es sich (insbesondere in Deutschland) noch um eine kleine Bewegung handelt und es unterschiedliche Visionen dazu gibt, geht der Gedanke von Degrowth immer einher mit ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Entschleunigung, einem friedlichen Miteinander- und Gemeinschaftsgedanken, Zeitwohlstand und der Verringerung von Produktion und Konsum. Pfeiler sind hier die Grundwerte Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation.

 

Etwas konkreter gesprochen liegen die “Probleme” / Wachstumstreiber zum Beispiel im überproportionalen Konsum (in jeglicher Hinsicht), in der Fremdversorgung und in unnötig langen Wertschöpfungsketten (insbesondere in globalisierten Märkten). Besondere Menschen und Projekte, die diesem entgegenwirken und Degrowth praktizieren, habe ich wie gesagt in Bratislava und Budapest getroffen. Es geht nicht nur darum, weniger zu konsumieren, sondern auch gemeinsam zum Beispiel in Reparaturwerkstätten die Lebensdauer vorhandener Produkte zu verlängern, Formen von Eigenproduktion zu entwickeln (z.B. urban gardening) und so Lokalisierung und Entkommerzialisierung in der Praxis voranzutreiben. In Bratislava habe ich zum einen die “Cyklo kuchyna” und ihre Gründer kennengelernt - es handelt sich um eine Fahrrad-Reparaturwerkstatt, in der Hilfe zur Selbsthilfe und vor allem Repairing an erster Stelle stehen - aber auch kostenloses Bike-Sharing (insbesondere von Cargobikes/Lastenräder) wird hier angeboten. Und das alles nicht vor dem Hintergrund der Gewinnorientierung. Außerdem setzen sich die Gründer als “Actors of Urban Change” auch für eine Veränderung der Fahrradkultur in der Stadt ein, indem sie für eine Fahrradinfrastruktur kämpfen - in einem Land, in dem Luftverschmutzung insbesondere innerhalb der Stadt und von Autos überfüllte Straßen überhandnehmen. Mein Host hatte mir aber auch von den Herausforderungen erzählt - nicht zuletzt der starken Autolobby.

 

Michal ist auch Mitgründer des “bystros” in Bratislava. Für das bystro haben die Gründer einen Raum angemietet, der aus Spenden finanziert wird. Diese Einnahmen kommen durch soziale oder kulturelle Events, die jeder der möchte im bystro abhalten kann (ob Workshops, Konzerte, Theater, Meetings, Seminare etc.). Außerdem kann man dort die verschiedensten Dinge ausleihen oder zum Verleihen abgeben. Weiterhin gibt es lokales und nachhaltig produziertes Essen und Getränke. Für die Getränke zahlt jeder den Einkaufspreis in eine Kasse. Das Abendessen gibt es kostenlos und ist meist übrig gebliebenes Essen von Hotels. Es ist eine besondere Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Miteinanders dort und alles beruht natürlich auf Vertrauen, Engagement und Kooperation. Für mich “gelebtes Degrowth” im kleinen Rahmen mitten in Bratislava. Lest unbedingt mehr auf der Homepage oder folgt dem bystro auf Facebook.

 

Wesentlich weiter fortgeschritten und professionalisiert ist das Ganze in Budapest (aber auch hier wurde mir erklärt, dass das Ganze nur in der Form in Ungarn möglich ist, weil Ungarn unglaublich liberal ist). Das Ganze läuft unter dem Dach von Cargonomia. Cargonomia vereint für mich so viele wesentliche und wichtige Punkte und zeigt auf, wie nachhaltige Lebensmittelproduktion und klimafreundliche Mobilität gelingen können - und das innerhalb einer Stadt. Cargonomia verknüpft die folgenden drei Projekte zu einer einzigartigen Lösung: “Cyclonomia”, auch eine (Selbsthilfe-) Fahrrad-Reparaturwerkstatt & (Cargo-) Bikesharing; “Zsamboki Biokert”, ein ökologischer Gemüsehof und zugleich auch ein gemeinschaftliches Bildungszentrum für nachhaltige Landwirtschaft, welches die Bewohner Budapests mit Gemüseboxen beliefert; und “Kantaa”, ein selbstorganisiertes Fahrradkurier- und Lieferunternehmen. So ist es möglich innerhalb einer Großstadt nicht nur lokal hergestellte, gesunde und umweltfreundliche Lebensmittel zu beziehen sondern dies auch noch auf eine klimafreundliche Alternative, mit (lokal gefertigten, selbst entwickelten) Lastenrädern. Darüber hinaus bietet Cargonomia auch einen “offenen Raum für Gemeinschaftsaktivitäten zu Themen wie nachhaltigen Wandel, gesellschaftliches Zusammenleben, Degrowth sowie DIY- und Selbstversorger-Workshops.” Auch hier arbeiten alle ehrenamtlich und eine Gewinnorientierung ist nicht vorhanden. Klar ist aber natürlich auch, dass dies aktuell so nicht funktionieren könnte, wenn die Beteiligten nicht anderen Jobs in der “normalen” Wirtschaft nachgehen würden. Aber ich denke ja immer, ein erster Schritt in die richtige Richtung ist besser als kein Schritt :-).

 

All das habe ich aus erster Hand erlebt, gezeigt und erklärt bekommen (was für die gelebte Menschlichkeit und Offenheit spricht). Meine erste Station war aber das “Urban Agroforestry”-Projekt, das ebenfalls von Cargonomia in Zusammenarbeit mit der Universität (Faculty of Landscape Architecture and Urbanism - es ist wirklich eine Wissenschaft für sich, wie Urban Gardening gelingen kann - schon alleine die Anordnung der Pflanzen folgt strengen Regeln…) & dem Bezirk betrieben wird. Ich war unglaublich begeistert von dem Projekt und habe gerne geholfen, die Pflanze zu bewässern - allerdings habe ich hierbei auch gleichzeitig die Hürden kennengelernt. Zum einen waren die Pflanzen gerade am Anfang… es bedurfte einiger Vorstellungskraft, dass hier einmal eine relevante Menge geerntet werden kann & vor allem müssen die Bevölkerung und Nachbarschaft hinter dem Projekt stehen. Es lebt davon, dass die Nachbarschaft mithilft, aufpasst und den Hintergrund versteht. Außerdem steht und fällt das ganze Projekt aktuell mit den Bürgermeisterwahlen in Budapest… Ich würde mich freuen, wenn ihr mehr dazu auf den verlinkten Seiten lesen würdet!

 

Wie ihr seht, hat mich das Thema Degrowth sehr beschäftigt und vor allem begeistert - und ich sehe darin eine große Chance. Nicht zuletzt aber haben mich die Menschen dahinter begeistert - weil sie offen, sozial und global intelligent und einfach unglaublich normal sind, aber “die Welt ein Stück besser machen” wollen. Das Symbol für Degrowth ist eine Schnecke und ich finde es veranschaulicht nicht nur die wirtschaftlichen Veränderungen, die die Degrowth-Bewegung anstrebt, sondern sollte genauso als Symbol für uns alle gelten, einmal innezuhalten, achtsam zu sein und einen Blick für die Welt um uns zu haben - mitten im “hektischen” Alltag.

 

Ist es nicht schon wieder paradox, dass wir hier in Europa über Degrowth sprechen (müssen), während ich mit meiner Spendenaktion für World Bicycle Relief zur wirtschaftlichen Entwicklung in den ländlichen Gebieten Afrikas beitragen möchte?

 

Degrowth in Europa und Entwicklungshilfe in Afrika.

Wisst ihr, was das Schöne daran ist?

Es ist die Gemeinsamkeit:

 

...nämlich, dass ein einfaches Fahrrad dazu beitragen kann, beide Ziele zu erreichen!

Das Fahrrad ist eine umweltschonende, nachhaltige und gesunde Weise, um Distanzen schneller (in Afrika), langsamer (und damit achtsamer, in Europa) und energiesparend zurückzulegen und um etwas zu transportieren (ob Cargobike oder Buffalo Bike…) - und das ganz bewusst und mit Freude!

Gut für den Planeten und jeden einzelnen Menschen!

 

...und dass beide Bewegungen ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben eines jeden Menschen zum Ziel haben, in dem jeder Einzelne sein Leben aus eigener Kraft nach vorne bringt - sei es nun durch Radfahren für Bildung oder durch Radfahren gegen eine kapitalistische Gesellschaft.

 

Und egal ob wir über Degrowth oder Entwicklungshilfe sprechen. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen - sonst können wir niemals eine Veränderung bewirken!

 

Eine ganz besondere Herangehensweise (oder die einzig logische?), diesen Bewusstseinszustand zu erreichen, verfolgt aktuell die Plattform “7Mind” mit der “Klima Challenge”. In der Meditations-App gibt es kostenfreie Meditationen zum Thema “Globale Verbundenheit”, die dazu beitragen, dass wir alle ein globales Bewusstsein erlangen und damit bewusster mit uns und unserer Umwelt umgehen. Außerdem kompensiert 7Mind für 30 Tage mit jeder Meditation 1kg CO2. Also, wenn ihr (noch) nicht für euch meditiert, dann tut es für den Klimaschutz ;-)

 

Oder ist Zuhause doch unser Planet? Für den wir alle gemeinsam eine Verantwortung tragen?

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