Routine

Aufwachen, Augen geschlossen lassen, dankbar sein für den neuen Tag, dankbar sein für alles, was der Tag bringen wird, bequeme Sitzposition finden, meditieren, Freude, Liebe und Leichtigkeit als Grundgefühl für den neuen Tag wählen (dies ist meine Lieblingsmeditation dafür, probiere sie doch gleich aus, bevor du weiterliest), aufstehen und den restlichen Tag positiv angehen, sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen, jede Situation so annehmen wie sie kommt und mit der Vision im Blick ruhig, gelassen aber bestimmt und mit dem notwendigen Humor und dem Blick für das Schöne den eigenen Weg unbeirrt weiter gehen, Tagebuch schreiben.
 
So sieht zur Zeit jeder Tag bei mir aus. Und ich bin glücklich, eine solche Routine gefunden zu haben - es ist keine Routine, die jeden Tag gleich oder langweilig macht, sondern eine Routine, die eine besondere Lebenseinstellung mit sich bringt und den Blick weg von Mangel hin zu Fülle richtet und gleichzeitig Zeit zum Reflektieren ermöglicht - und so die Tür für ganz besondere Wunder öffnet.
 
In Wien bin ich mit wahrscheinlich 7kg mehr Gepäck gestartet (5kg Verpflegung und weitere Utensilien von Honzo und ca. 2 kg mehr Gewicht auf meinen Rippen, auch das dank Honzos toller Verpflegung in Wien - wie kann ein Mensch so lieb sein?). Zum Glück handelte es sich dabei nur um physisches und nicht emotionales Gepäck - das bin ich nämlich im schönen kulturellen Wien losgeworden. Nach den schweren Tagen durch Tschechien habe ich mich sehr auf den Donauradweg und viele weitere schöne Städte gefreut, das macht alles etwas einfacher. 
 
In der Slowakei anzukommen hat mir sehr viel bedeutet, nämlich die Heimat eines Freundes kennenzulernen, auch wenn wir uns dort leider um eine Woche verpasst haben. In Bratislava konnte ich über Warmshowers bei Michal übernachten und es war eine super Begegnung - und das nicht nur deshalb, weil seine erste Frage war, ob wir ein Bier trinken gehen, wir uns stundenlang unsere Fahrräder angeschaut und darüber diskutiert haben oder ich in einem Raum mit 5 Fahrrädern schlafen durfte.
 
Er ist Mitgründer der cyklo kuchyña* (bikekitchen) und des bystros*. Er hat mich mit diesen beiden Ansätzen, seiner Lebensweise und seinen Ansichten sehr inspiriert und mich damit und indem er mir geholfen hat, ein paar Ideen für meinen weiteren Weg zu finden, persönlich sehr weitergebracht. Außerdem hat er mir ein gutes Gefühl gegeben und mir klargemacht, wie viele Kilometer ich schon alleine auf dem Rad unterwegs bin und was für ein Statement das ist. Er war es auch, der mich in Budapest an Cargonomia* verwiesen hat.
 
Von Bratislava nach Budapest habe ich drei Tage gebraucht (man nimmt eigentlich den EuroVelo6 entlang der Donau, aber dank Michals Hilfe, hatte ich eine etwas abwechslungsreichere Route), zwei Nächte Camping, in einer davon habe ich leider aufgrund eines schlechten Schlafplatzes nur zwei Stunden geschlafen, dafür habe ich am folgenden Tag 100km geschafft. Komisch, wozu unser Körper manchmal fähig ist (naja, was sonst soll man morgens um 5 in Ungarn machen außer Radfahren?). Umso schöner war die Ankunft in Budapest, zumal ich kurz zuvor noch in Üröm vorbeigeschaut habe, wo mein Großvater herkommt, das war ein sehr schöner Moment und ich bin dankbar, dass mein Fahrrad mich dort hin gebracht hat.
 
In Budapest habe ich über Couchsurfing in einer noch nicht renovierten Wohnung gewohnt, aber ich konnte dort mein Fahrrad unterstellen, hatte eine kalte Dusche, WIFI, Zeit für mich und ein Bett. Außerdem musste ich mir diese Wohnung mit einer Katze teilen, aber selbst das habe ich gelassen hingenommen.
 
- Freunde, spätestens das ist der Beweis für meine Lockerheit, eine Katze hat in meinem Bett geschlafen und ich habe sie nicht komplett gehasst, was sagt ihr dazu? -
 
Nein, ihr seht an diesem Beispiel, mit wie wenig  (oder viel - je nach Sichtweise) man zufriedengestellt ist auf so einer Reise und man die kleinsten Dinge zu schätzen weiß.
 
In Budapest habe ich fast vier Tage verbracht, habe mir auf dem Geländer der Freiheitsbrücke sitzend den Sonnenuntergang angeschaut und Cargonomia* besucht. Zunächst haben sie mir dort das Urban Agroforestry Project* vorgestellt, dann bin ich mit einem Cargobike durch Budapest gefahren, war in ihrer Bikekitchen „Cyclonomia“*, wo ich mein Fahrrad reparieren und währenddessen Vincent, einen der Mitgründer von Cargonomia kennenlernen und mehr über die Geschichte und Vision von Cargonomia lernen durfte. Mit ihm und seinen Praktikanten (alles Franzosen) habe ich den Tag in dieser Fahrradwerkstatt verbracht, Tour de France geschaut und Darts gespielt. Und wie jeder Abend endet, der mit Darts und Bier beginnt, hatten wir eine tolle Partynacht und ich war endlich mal wieder Tanzen seit Konstanz, seit Wochen habe ich mir das schon gewünscht. Von diesen Menschen habe ich aber vor allem viel zum Thema „Degrowth“* gelernt, was mich seitdem sehr beschäftigt. In meiner letzten Nacht in Budapest habe ich dann noch in der Viola Utica (Viola Straße) im Viola Kollegium übernachtet, was für ein toller Zufall.
 
Vor der weiteren Fahrt von Budapest nach Zagreb hatte ich ein wenig Bedenken, da es auf der Karte ähnlich zu sein schien, wie die Fahrt durch Tschechien, die mir ja bekanntlich ein wenig den Zahn gezogen hatte ;-) Aber zunächst bin ich zum Balaton gefahren und die Ankunft dort war sehr berührend für mich. Ich habe es alleine und aus eigener Kraft mit meinem Fahrrad an den schönen Balaton geschafft. Es ist schön, wenn man sich selbst die Zeit nimmt, sich seiner Leistungen bewusst zu werden und der Balaton hat mir dieses Gefühl gegeben. Toll war es dann auch, bei Sonnenuntergang im Balaton zu baden. Ansonsten war es dort allerdings sehr touristisch, sodass die Fahrt entlang des Balatons nicht wirklich erwähnenswert ist.
 
Umso schöner und atemberaubender war aber die Fahrt durch den Kis-Balaton (Kleiner Balaton), dem Naturschutzgebiet. Die restlichen Tage durch Ungarn Richtung Zagreb waren ein wenig wie erwartet, wie in Tschechien. Es war regnerisch, es gab viele starke und plötzliche Gewitter und ich hatte Probleme, sichere Unterkünfte zu finden. In einer Nacht hatte ich ein schweres Gewitter, wo ich das erste Mal Angst hatte, als ich in meinem Zelt saß - zum Glück war ich auf einem Campingplatz und konnte für den ersten Teil der Nacht in die Duschen ausweichen (Danke an die Engel in dieser Nacht).
 
Ja, die äußeren Bedingungen waren ähnlich wie in Tschechien - aber nicht mein Inneres. Regen, Sonne, Hitze, Schwüle, gutes Essen, schlechtes Essen, kein Essen, Zelt, Bett, whatever… ich habe aktuell keine Zweifel, bin mit mir und meinem Weg im Reinen, ich lasse mich von nichts aus der Ruhe bringen, nehme jede Situation an, versuche lösungsorientiert an Dinge heranzugehen und mit meinen Zielen im Blick einfach meinen Weg zu gehen. Das klappt so gut und ich bin jeden Tag positiv und glücklich und genau mit dieser Einstellung und meiner Routine bin ich in Zagreb angekommen. Diesmal musste ich nicht wie in Tschechien den Zug nehmen (ha ha, es hätte sowieso keinen gegeben), und ich war sehr stolz darauf, auch die schwierigen Etappen diesmal mit Leichtigkeit geschafft zu haben.
 
Gerne möchte ich meinen schönsten Moment auf dem Weg nach Zagreb mit euch teilen, weil er so sehr all das ausdrückt, was ich versuche zu beschrieben, aber nicht die richtigen Worte finde: Der Weg nach Zagreb verlief für mich fast 50km geradeaus auf der Hauptstraße - irgendwann habe ich von weitem einen anderen Radreisenden entgegenkommen sehen (man freut sich immer über andere Gleichgesinnte - und ich freue mich vor allem, wenn ich andere Alleinreisende treffe). Wir haben uns mit einem Kopfnicken gegrüßt und als wir uns in die Augen gesehen haben und erkannt haben, dass wir beide wahrscheinlich gleich jung sind und gerade in einem gleichen Zustand und mit einem ähnlichen Rad unterwegs sind, haben wir beide die Hand gehoben, wild gewunken und laut losgelacht - und sind noch glücklicher (ich zumindest) weitergefahren.
 
Ich war von Kroatiens Landschaft sehr beeindruckt (leider habe ich dort nur 3 Tage verbracht), aber die Fahrt nach Slowenien war noch viel schöner. Es ist ein wunderschönes Land, liebe Menschen, schöne Wege und ich genieße aktuell einfach nur das Radfahren in dieser schönen Umgebung - und ja, ich genieße mehr als zuvor auch die Auffahrten, weil ich mich so sehr auf die Abfahrten freue.
 
Hinzu kommt, dass ich in der Zwischenzeit mein Spendenziel für World Bicycle Relief erreicht habe - dank euch, ihr seid der Wahnsinn! Ich bin unglaublich dankbar und hätte nie gedacht, dass ich dieses Ziel erreichen könnte. Vielen lieben Dank an euch alle und ich freue mich natürlich über weitere Spenden und Aufgaben (bald erreiche ich die 4.000 km;)), noch mehr freue ich mich, wenn ihr euch diesen Monat auch mal wieder aufs Fahrrad setzt. 
 
Seit meinem letzten Eintrag habe ich nun fünf Länder bereist (fahre ich schneller oder schreibe ich langsamer? :D) - wenn ihr etwas mehr up-to-date sein wollt über meinen aktuellen Standort, meine Erlebnisse oder das ein oder andere Video ;) sehen wollt, dann folgt mir bei Instagram oder Strava. Ansonsten gibt es auf dem Blog eben immer die etwas spätere Zusammenfassung - aber gut Ding will Weile haben :-).
 
Nun, was soll ich sagen, jeder Tag ist anders, man steht jeden Tag vor so einigen Herausforderungen (wie jeder von uns), aber es liegt an uns, wie wir diese Herausforderungen annehmen und den Tag starten. Meine Routine ist es, immer Liebe als Antwort zu wählen, niemals Hass und schon gar nicht Angst als Lebensratgeber zu wählen sondern viel mehr Mut und Vertrauen. Und egal, was in meinem Leben kommen mag, diese Routine möchte ich für immer beibehalten.
 
“Spending a day thinking about what could, should, might have been (past) or what may, perhaps, might happen (future) is a day missed.”
 
Wie startest du deinen Tag? Lässt du dich leicht aus der Ruhe bringen? Sind deine Handlungen und Gedanken von Angst oder von Liebe und Vertrauen geprägt? Wie oft nimmst du dir Ruhepausen, um dich auf die wichtigen Dinge des Lebens zu konzentrieren? Gibst du dir die Zeit, auf deinen Tag, deine Woche, deinen Monat oder dein Jahr zurück zu schauen und zu reflektieren? Wann nimmst du dir die Zeit, um deine Ziele für deinen Tag, deine Woche, dein Jahr, dein Leben zu definieren? Lebst du jeden Tag im Einklang mit deinen Werten? Kennst du deine Werte? Wie beendest du deinen Tag?
 
Ja, ich bin in einem wunderbaren Gleichgewichtszustand und ich weiß, dass auch wieder Tiefen kommen werden, ich weiß aber auch (und freue mich), dass Höhen kommen werden, von denen ich nicht zu träumen wage.
Aber genau das ist es, was das Leben ausmacht. Wir benötigen die Höhen und die Tiefen, da sie uns näher an uns selbst bringen. Und gerade genieße ich einfach dieses „Mittelmaß“, die Ruhe und Ausgeglichenheit und die grenzenlose Freude an meinem Leben, das ich mehr als jemals zuvor selbst gewählt habe.
 
Eine solche Reise führt einem noch viel klarer vor Augen, dass wir selbst für unser Leben verantwortlich sind. Wir können niemand anderem die Schuld geben, wenn etwas nicht so gut läuft. Wir wählen jeden Tag, wie wir unser Leben leben wollen und wir können jeden Tag neu wählen. Wir haben eine unglaubliche Kraft in uns. Wir sind selbst für unser Glück verantwortlich! Meine Lieblingsmeditation dazu ist diese hier. (Probiere doch auch diese gleich mal aus :D)
 
Ich schicke euch die kraftvollsten, liebsten, wunderschönsten und positivsten Grüße aus dem schönen Slowenien - eine Katze hat es sich  auf meinem Schoß gemütlich gemacht - irgendetwas läuft hier falsch.

*Es wird einen gesonderten Beirag zum Thema Degrowth, dem Bystro, Bikekitchen & Cargonomia geben.

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Kommentare: 4
  • #1

    Ebru (Donnerstag, 01 August 2019 21:42)

    Viola du bist der Wahnsinn! Dein Weg, dein Mut, deine Leistung einfach beneidenswert.
    Ich bin Baff und folge dir um neues von deiner Reise zu lesen.

    Mach weiter so. Ich wunscheedir auf weiterem Wege gaaaaanz tolle Herzens gute Menschen.

    Ganz Liebe Grüsse aus Heidelberg

  • #2

    Beate (Freitag, 02 August 2019 14:51)

    Mädels ..... Katze bei Viola im Bett .... der Hammer . Was sagt man dazu ??? ;-))
    HDL

  • #3

    Dési (Montag, 05 August 2019 18:31)

    Unfassbar!!! ;-)))
    HDL �

  • #4

    Lea (Donnerstag, 08 August 2019 11:52)

    Ich kann mich meinen Vor-Kommentatoren nur anschließen. Ich bin sprachlos. Viel Liebe und Glücksmomente für dich und danke für deine für mich <3